Tequila Cristalino. Fake-Tequilas aus dem Labor?
In Mexiko sind sie schon seit geraumer Zeit Trend, die sogenannten Tequila Cristalino oder Crystal“ Tequilas. Dabei handelt es sich um fassgereifte Tequilas, die gefiltert wurden, um die während des Alterungsprozesses vom Fass zugegebene Farbe zu entfernen. Der Tequila wird anschließend wieder „kristallklar“ („cristal clear“), wie bei einem Tequila Blanco. Kurios oder?
Die meisten Cristalinos auf dem Markt sind klare Añejos, beworben als elegante High-End Tequilas, deutlich teurer als Ihre normalen Añejo-Verwandten. Die wohl bekanntesten Cristalinos sind der Don Julio Tequila Añejo 70th Anniversary Limited Edition und der Maestro Dobel Diamante (Anm.: Der Maestro Dobel Diamante ist durch den Blend offiziell ein Reposado), aber der Markt ist schnell gewachsen und umfasst mittlerweile Tequilas von 1800 Cristalino, Padre Azul Cristalino Añejo Tequila, Herradura Ultra, Hornitos Cristalino Tequila. Im Prinzip hat jeder Hersteller einen solchen im Sortiment.
Cristalinos. Fake-Tequilas aus dem Labor?
Was soll das ganze Theater?
Der geneigte klassische Tequila-Trinker fragt sich jetzt bestimmt, warum sich jemand die Mühe macht einen Tequila zu altern, nur um danach einige der wertvollen charakteristischen Alterungs-„Attribute“ herauszufiltern und ihm eine klare „Fake“-Optik zu geben? Finden wir es heraus!
Wie werden denn gealterte Tequilas wieder klar gemacht?
Die meisten Hersteller fügen dem gereiften Tequila Aktivkohlestaub hinzu und verwenden dann Zellulosefilter (Papier), um diesen Staub (zusammen mit der Farbe) zu entfernen. Es ist aber auch möglich, Farbe zu entfernen, indem man das Produkt erneut destilliert, also (meist) ein drittes Mal. Nur wenige verwenden jedoch diese Methode, weil sie zu lange dauert, Energie verbrennt, einen hohen Reinigungsaufwand der Geräte verursacht und am Schluss der Aktion mit weniger Volumen zu rechnen ist.
Ein dritter Destillationsvorgang wird übrigens auch oft bei Blanco-Tequilas gemacht, das nimmt dem Blanco die „Kanten“. Dieses Vorgehen würd ich allerdings in die Kategorie „Cheating“ einsortieren, denn oft wird das vom Hersteller am Ende nicht erwähnt. Aber: Man schmeckt es definitiv raus, das ist nicht zu leugnen. Sogar große Premium-Tequila Hersteller scheuen sich nicht diesen Trick anzuwenden.
Da fragt man sich aber jetzt: Wenn das Filtern eines gealterten Tequilas die Farbe entfernt, werden dann nicht auch die durch die Fassreifung (mühsam) entstandenen Aromen entfernt?
Die Antwort lautet: Nur wenn man es richtig macht, bleiben diese Aromen enthalten. Nur die Farbe zu filtern und die aromatischen Eigenschaften des Fasses zu belassen, ist eine Kunst. Das hab ich persönlich von einem Tequila-Insider aus Mexiko gehört. Es ist ziemlich „tricky“, aufwändig und eigentlich nicht 100% kontrollierbar:
Es hängt von der Menge an Kohlenstoff pro Liter und der Kontaktzeit ab, dadurch wird die Farbe eliminiert und Aromen wie Vanille, Karamell, Ahorn, Schokolade und Kokosnuss, die durch die Lagerung im Fass gewonnen werden, bleiben erhalten. Wird jedoch zu viel Kohlenstoff verwendet oder ist die Exposition zu lang, gehen Aromen verloren. Uff. Soweit die Theorie.
Was passiert jedoch, wenn die Aromen durch die Klarfärbung entfernt werden? Was bleibt dann noch übrig?
Leider beherrschen viele Tequila Hersteller nicht die Kunst, einen klaren, aber dennoch natürlich aromatischen, gealterten Tequila zu entwickeln. Gut, das wäre auch zu schön um wahr zu sein. Die meisten Cristalinos wurden übermäßig gefiltert, so dass die gesamte Farbe (und fast der gesamte Geschmack) entfernt wurde, was zu einem neutralen Produkt führt. In diesen Fällen greifen dann die Hersteller in die Trickkiste und fügen Zusatzstoffen hinzu, um das gewünschte Geschmacksprofil zu erzielen.
Wie wirkt sich die Filterung auf das Gefühl im Mund aus?
Wenn die Eliminierung der Farbe in der richtigen Menge erfolgt, sollte der Geschmack seidig weich sein, da sie eine Veresterung bewirkt. Eine Veresterung ist der Prozess, bei dem Alkohole und Carbonsäuren Ester bilden, die das Mundgefühl beeinflussen. Einige Marken „entschärfen“ ihre Cristalino-Version zusätzlich auf 35% Alkoholgehalt um einen noch weicheren Effekt zu erzielen. Hmm,. Notlösung? Naja, muss jeder selbst entscheiden. Schlimmer ist aber das hier:
Herradura Ultra geht einen Schritt weiter. Um ihren Cristalino zu verändern fügen sie Agavensirup hinzu, um ihn süßer und attraktiver zu machen. Gerade für Nicht-traditionelle Tequila-Trinker ist das zwar legitim aber für mich persönlich schon etwas weit weg vom Tequila. Das kratzt an einer Formulierung „Spirituose auf Tequilabasis“. Aber gut. Ich hab den Herradura Ultra noch nicht getrunken – muss ich nachholen. Urteil folgt!
Was ist mit dem Preis?
Natürlich lassen sich Hersteller diesen immensen Aufwand etwas kosten und Cristalino Tequilas sind hier bei uns in Europa praktisch fast gar nicht zu bekommen.
Ist denn nun „ Cristalino“ eine neue Tequila-Kategorie?
Nein, nicht offiziell. Der Tequila Regulatory Council (CRT) erlaubtCristalinos. Tatsächlich hat der technische Ausschuss des CRT auf einer Sitzung im November 2016 einige Standards für die klaren, gealterten Tequilas festgelegt, ohne sie tatsächlich als neue Kategorie zu bezeichnen.
Nach den Ausschussvorschriften müssen die Hersteller einen Nachweis darüber erbringen, dass das Produkt tatsächlich im Fass gelagert wurde, sowie das Verfahren, mit dem die Färbung entzogen wurde.
Darüber hinaus heißt es, dass der Prozess der „Entfärbung“ einige der im Fass erhaltenen Alterungseigenschaften erhalten bleiben muss. Eine Überfilterung und vollständige Entfernung der während ihrer Zeit im Fass entstandenen Aromen und Geschmacksrichtungen ist daher nicht zulässig. Gut, das ist wohl alles Auslegungssache.
Fakt ist: Es ist keineneue Kategorie. Ist die Basis eines Cristalinos ein Anejo, dann bleibt´s auch ein Anejo. Ist es ein natürlich entfärbter Reposado (wie z.b. der Maestro Dobel) dann bleibt es auch offiziell ein Reposado. Der Hersteller kann dann seine Cristal/Cristalino/Ultra Fantasiebezeichnung zusätzlich auf die (meist kristallklare) Flasche schreiben.
Mein Fazit
Mit Cristalinos erschliesst sich der Tequila-Markt meineserachtens eine kompett neue Zielgruppe. Nämlich Die, die den ursprünglichen Agavengeschmackt entweder gar nicht kennen oder denen dieser Geschmack zu wild, rau und vielleicht auch zu aufdringlich ist. Ich persönlich finde den Geschmack äußerst interessant, modern und ja ich mag diesen süsslich sanften Geschmack, wo man sich förmlich „reinsetzen“ kann.
Mein absoluter Favorit ist der Maestro Dobel Diamante. Ein Blend aus Reposado, Anejo und Extra Anejo – ohne Zusatz von irgendwelchen Agavesirupen oder sowas. Und er hat auch ordentliche 40% Alkoholgehalt. Ein Cristalino „geht immer“ – zwischendurch. Und den „Aha“-Effekt beim Verkosten mit Freunden gibt’s kostenlos obendrauf. Da isses wieder, das Trinkspiel – jedoch auf einem ganz anderen Qualitätsniveau 😉
Also, probiert´s gern aus, und blickt über den Tellerrand. Salud!